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Essay
zum Königskasper
Der Narr gehört zu den
Leitfiguren der anhebenden Neuzeit um 1500. So gibt es
beispielsweise den christlichen Tölpel des Cusanus. Dem
gesicherten Wissen des Scholastikers um die Existenz
Gottes tritt Unwissenheit im Gewand einfacher Mönchskutte
gegenüber. Grundgedanke ist, daß die Spitzfindigkeit des
Scholastikers nicht mehr über die Existenz Gottes beweist
als der Laienglaube des Mönchs. Nur: Der Laie zieht sich
aus dem Wissen um seine Unkenntnis auf eine bescheidene
Position zurück. Dargestellt findet man den Cusanischen
Idioten auf einem um 1490 erschienenen Holzschnitt als
Figur des 'Christlichen Tölpels'. Angetan mit einer geöffneten
Mönchskutte, in der in Brusthöhe ein Herz ausgeschnitten
ist - Offenheit und dauernde Bereitschaft zur Buße
anzeigend. Der Mund ist mit einem Schloß behängt, das
den Wert des Schweigens gegenüber sophistischen
theologischen Erörterungen betont. Den Hut am Kopf überragen
Eselsohren als Sinnbild freiwilliger Torheit. Die Figur
steht auf einer Kugel, der Weg verschwindet zwischen zwei
Hügeln in eine grenzenlose Weite, um zu zeigen, wie der Tölpel
durch die Welt zieht, nichts ahnend und unwissend. Zu
dieser Figur gesellt sich jene des 'Niemand' von Jörg
Schau um 1500. Der Niemand, weil es ihn nicht gibt, ist
Gegenstand der Projektion für alle Kritik an Mißständen.
Im 18. Jahrhundert taucht er anonym wieder auf. Er sitzt,
eingekleidet in kostbarem Pelz, in einem lederbezogenen
Holzstuhl, als Herr des Hauses mitten in größter
Unordnung und Verwahrlosung. Sein Mund ist ebenfalls mit
einem Schloß behängt. Sein Schweigen und sein Streichen
der linken Hand durch den Bart täuschen Weisheit vor, um
Chaos zu vertuschen. Schein und Sein sind vertauscht, so
daß ein rechter Narr im Bild thront.
Gleichzeitig wird mit der ständigen Beweglichkeit des
Narren, der nie zum Stillstand kommt, Unruhe dargestellt.
Das ganze Welttreiben, anschaulich in der
Schiffsmetaphorik des Sebastian Brant vorgeführt, ist ein
unberechenbar absurder Ablauf, über dessen Glücks- wie
Unglücksfälle sich nur Narren erregen können. Demgegenüber
hält sich der Weise von allem Welttreiben fern und zieht
sich in die Einsamkeit zurück, in der er wiederum
melancholisch wird. "Bereits der Antike galt der
lachende Demokrit, der über den Weltlauf spottend, sich
in die Einsamkeit zurückzog, als ein Melancholiker, den
die Narrheit überkommen habe. Gerade der Melancholiker,
der vor dem tückischen Weltlauf sich zurückzieht und
damit zum eigentlichen Gegenspieler des Narren wird,
bezahlt diese Flucht mit dem weit gravierenderen Vorwurf
des Wahnsinns.
Die Zeit um 1500, die erstmals den Narren ernst nahm und
zugleich den Melancholiker zum ernsten Denker und zum künstlerischen
genialen Ausnahmemenschen nobilitierte, hat in ihm das Närrische,
gleichsam als Bürde des Genialen, zur Dimension des
Wahnsinns vertieft. Weit gravierender - und höchst
folgenreich für die Künstlergeschichte - war damit die
Flucht des Melancholikers aus dem Kreislauf des Alltäglichen
und Gewöhnlichen wieder vom Narrenvorwurf
eingeholt." (Peter Klaus Schuster).
1737 wurde die Narrenfigur von der Bühne verbannt. Von
der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zur Mitte des 18.
Jahrhunderts wich derbe Heiterkeit in fortschreitendem Maß
einer Komik, die reine Possen und derbe Zoten stetig zurückdrängte.
Moralische Prinzipien wie Besserung des Menschen und
Belehrung rückten an ihre Stelle, schließlich zielte man
auf Gemütsbewegungen beim Zuschauer ab. Der ursprüngliche
Sinn, das befreiende Lachen beim Anblick des Narren als
Spiegel eigener Unzulänglichkeiten, wurde als unzulässig
markiert, weil die moralische Verpflichtung zur Besserung
und Belehrung durch Lachen zurückgedrängt hätte werden
können. Wie gesagt, 1737 verbannte die Wandertruppen-Komödiantin
Caroline Neuber auf Geheiß Gottscheds den Narren von der
Bühne.
Dennoch war man sich über die Einschätzung des Narren
nie ganz klar, denn die leichtfertig scheinende, oberflächlich
lustige Person, verbirgt mehr Tiefsinn als sie wissen läßt.
Wer ist der Narr? Jürgen Keimer hat hier interessante Überlegungen
angestellt. "Nach Herkunft und Bedeutung ist der Narr
aber gefallene Gottheit oder verkleideter Teufel - ein
Mensch wie alle anderen, der nur etwas komischer wäre,
ist er nicht." Es gibt bildnerische Darstellungen von
der Geburt des Narren. Ihnen ist gemeinsam, daß der Narr
außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung steht. Die ältesten
Narrendarstellungen finden sich in Bibel-Handschriften. So
wird der Anfang des 53. Psalm im 15. Jahrhundert oft mit
einem Narren, einem regelrechten Hofnarren illustriert,
der mit eselsohriger Kappe oder Hahnenkamm und
Narren-Zepter ausgestattet ist und ein zwei- oder
mehrfarbiges Gewand trägt. Der zugehörige Psalmtext läßt
keinen Zweifel: Der Narr ist hier nicht als harmloser Spaßmacher
gemeint, sondern als der gottlose Tor, der gegen Gott
selbst anzugehen wagt.
In diesem Zusammenhang ist beispielsweise ein Blatt aus Dürers
Apokalypse 'Johannes erblickt die sieben Leuchter' aus dem
Jahr 1498 noch erwähnenswert: Christus thront auf dem
Regenbogen. Der Narr als Herr der Gegenwelt erhält schon
kompositorisch den gleichen Platz wie Christus als
Weltenrichter.So erscheint der Narr alles in allem als
Gegenfigur zu anerkannten Ordnungen. Allein sein Auftreten
bündelt alles, was am gesellschaftlichen Gefüge fragwürdig
ist. Was so reibungslos in der Welt abzulaufen scheint,
ist eigentlich eine verkehrte Welt.
Der Narr, auch wenn er lange Zeit untertauchte, verschwand
dennoch nie ganz von der Bühne der Geistes,- Kunst- und
Theatergeschichte. In der romanischen Tradition der
Commedia dell' arte lebte er fort, und berühmte Künstler
mit ausgeprägtem Sinn für Witz, Humor, Satire und Ironie
wie E.T.A. Hoffmann und Heinrich Heine nahmen ihn ganz
selbstverständlich in ihre Prosa auf.
Und Johannes Häfner zeigt die Figur in all ihren
Ambivalenzen und Ausformungen, die geradezu als Metapher
deformierten modernen gesellschaftlichen Lebens gelten
kann. Der Ursprung des Archaischen, der Lebenslust, des
Ungebärdigen und Wilden wird ebenso sichtbar gemacht wie
seine Kehrseite: die tiefe Melancholie, das Schweigen und
schmerzhafte Aushalten des Bewußtseins über
unwiederbringliche Verluste unserer Zeit. Alle Neuschöpfungen,
die sich um die Figur des Königskasper gruppieren, wie
Olimpia, Musterknabe, Kopfrüssler, Schnabelbaby, Hirnbirn
oder Königskasper-Frau, sind Variationen, künstlerische
Weiterentwicklungen zu den großen und bedrückenden
Themen unserer schnellebigen Zeit, wie die Isolierung des
Menschen, Verödung des Denkens, Vereinsamung der Seele,
der Gefahr des Identitätsverlustes und der damit
verbundenen Lebensangst. Der Kasper oder der Narr hält
die Ambivalenz von Ausgelassenheit und Lebenslust
einerseits und Melancholie und tiefempfundener Einsamkeit
und Traurigkeit exakt in der Schwebe.
© Copyright Friedhelm Auhuber, 1999
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