LITERATUR WISSENSCHAFT

 

Friedhelm Auhuber

Gedanken zur Herkunft, 
Geschichte und Verwandlung der Figur des Narren und des Kaspers

 Essay zum Königskasper                                         08/02


Essay zum Königskasper

Der Narr gehört zu den Leitfiguren der anhebenden Neuzeit um 1500. So gibt es beispielsweise den christlichen Tölpel des Cusanus. Dem gesicherten Wissen des Scholastikers um die Existenz Gottes tritt Unwissenheit im Gewand einfacher Mönchskutte gegenüber. Grundgedanke ist, daß die Spitzfindigkeit des Scholastikers nicht mehr über die Existenz Gottes beweist als der Laienglaube des Mönchs. Nur: Der Laie zieht sich aus dem Wissen um seine Unkenntnis auf eine bescheidene Position zurück. Dargestellt findet man den Cusanischen Idioten auf einem um 1490 erschienenen Holzschnitt als Figur des 'Christlichen Tölpels'. Angetan mit einer geöffneten Mönchskutte, in der in Brusthöhe ein Herz ausgeschnitten ist - Offenheit und dauernde Bereitschaft zur Buße anzeigend. Der Mund ist mit einem Schloß behängt, das den Wert des Schweigens gegenüber sophistischen theologischen Erörterungen betont. Den Hut am Kopf überragen Eselsohren als Sinnbild freiwilliger Torheit. Die Figur steht auf einer Kugel, der Weg verschwindet zwischen zwei Hügeln in eine grenzenlose Weite, um zu zeigen, wie der Tölpel durch die Welt zieht, nichts ahnend und unwissend. Zu dieser Figur gesellt sich jene des 'Niemand' von Jörg Schau um 1500. Der Niemand, weil es ihn nicht gibt, ist Gegenstand der Projektion für alle Kritik an Mißständen. Im 18. Jahrhundert taucht er anonym wieder auf. Er sitzt, eingekleidet in kostbarem Pelz, in einem lederbezogenen Holzstuhl, als Herr des Hauses mitten in größter Unordnung und Verwahrlosung. Sein Mund ist ebenfalls mit einem Schloß behängt. Sein Schweigen und sein Streichen der linken Hand durch den Bart täuschen Weisheit vor, um Chaos zu vertuschen. Schein und Sein sind vertauscht, so daß ein rechter Narr im Bild thront.

Gleichzeitig wird mit der ständigen Beweglichkeit des Narren, der nie zum Stillstand kommt, Unruhe dargestellt. Das ganze Welttreiben, anschaulich in der Schiffsmetaphorik des Sebastian Brant vorgeführt, ist ein unberechenbar absurder Ablauf, über dessen Glücks- wie Unglücksfälle sich nur Narren erregen können. Demgegenüber hält sich der Weise von allem Welttreiben fern und zieht sich in die Einsamkeit zurück, in der er wiederum melancholisch wird. "Bereits der Antike galt der lachende Demokrit, der über den Weltlauf spottend, sich in die Einsamkeit zurückzog, als ein Melancholiker, den die Narrheit überkommen habe. Gerade der Melancholiker, der vor dem tückischen Weltlauf sich zurückzieht und damit zum eigentlichen Gegenspieler des Narren wird, bezahlt diese Flucht mit dem weit gravierenderen Vorwurf des Wahnsinns.

Die Zeit um 1500, die erstmals den Narren ernst nahm und zugleich den Melancholiker zum ernsten Denker und zum künstlerischen genialen Ausnahmemenschen nobilitierte, hat in ihm das Närrische, gleichsam als Bürde des Genialen, zur Dimension des Wahnsinns vertieft. Weit gravierender - und höchst folgenreich für die Künstlergeschichte - war damit die Flucht des Melancholikers aus dem Kreislauf des Alltäglichen und Gewöhnlichen wieder vom Narrenvorwurf eingeholt." (Peter Klaus Schuster).

1737 wurde die Narrenfigur von der Bühne verbannt. Von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wich derbe Heiterkeit in fortschreitendem Maß einer Komik, die reine Possen und derbe Zoten stetig zurückdrängte. Moralische Prinzipien wie Besserung des Menschen und Belehrung rückten an ihre Stelle, schließlich zielte man auf Gemütsbewegungen beim Zuschauer ab. Der ursprüngliche Sinn, das befreiende Lachen beim Anblick des Narren als Spiegel eigener Unzulänglichkeiten, wurde als unzulässig markiert, weil die moralische Verpflichtung zur Besserung und Belehrung durch Lachen zurückgedrängt hätte werden können. Wie gesagt, 1737 verbannte die Wandertruppen-Komödiantin Caroline Neuber auf Geheiß Gottscheds den Narren von der Bühne.

Dennoch war man sich über die Einschätzung des Narren nie ganz klar, denn die leichtfertig scheinende, oberflächlich lustige Person, verbirgt mehr Tiefsinn als sie wissen läßt. Wer ist der Narr? Jürgen Keimer hat hier interessante Überlegungen angestellt. "Nach Herkunft und Bedeutung ist der Narr aber gefallene Gottheit oder verkleideter Teufel - ein Mensch wie alle anderen, der nur etwas komischer wäre, ist er nicht." Es gibt bildnerische Darstellungen von der Geburt des Narren. Ihnen ist gemeinsam, daß der Narr außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung steht. Die ältesten Narrendarstellungen finden sich in Bibel-Handschriften. So wird der Anfang des 53. Psalm im 15. Jahrhundert oft mit einem Narren, einem regelrechten Hofnarren illustriert, der mit eselsohriger Kappe oder Hahnenkamm und Narren-Zepter ausgestattet ist und ein zwei- oder mehrfarbiges Gewand trägt. Der zugehörige Psalmtext läßt keinen Zweifel: Der Narr ist hier nicht als harmloser Spaßmacher gemeint, sondern als der gottlose Tor, der gegen Gott selbst anzugehen wagt.

In diesem Zusammenhang ist beispielsweise ein Blatt aus Dürers Apokalypse 'Johannes erblickt die sieben Leuchter' aus dem Jahr 1498 noch erwähnenswert: Christus thront auf dem Regenbogen. Der Narr als Herr der Gegenwelt erhält schon kompositorisch den gleichen Platz wie Christus als Weltenrichter.So erscheint der Narr alles in allem als Gegenfigur zu anerkannten Ordnungen. Allein sein Auftreten bündelt alles, was am gesellschaftlichen Gefüge fragwürdig ist. Was so reibungslos in der Welt abzulaufen scheint, ist eigentlich eine verkehrte Welt.

Der Narr, auch wenn er lange Zeit untertauchte, verschwand dennoch nie ganz von der Bühne der Geistes,- Kunst- und Theatergeschichte. In der romanischen Tradition der Commedia dell' arte lebte er fort, und berühmte Künstler mit ausgeprägtem Sinn für Witz, Humor, Satire und Ironie wie E.T.A. Hoffmann und Heinrich Heine nahmen ihn ganz selbstverständlich in ihre Prosa auf.

Und Johannes Häfner zeigt die Figur in all ihren Ambivalenzen und Ausformungen, die geradezu als Metapher deformierten modernen gesellschaftlichen Lebens gelten kann. Der Ursprung des Archaischen, der Lebenslust, des Ungebärdigen und Wilden wird ebenso sichtbar gemacht wie seine Kehrseite: die tiefe Melancholie, das Schweigen und schmerzhafte Aushalten des Bewußtseins über unwiederbringliche Verluste unserer Zeit. Alle Neuschöpfungen, die sich um die Figur des Königskasper gruppieren, wie Olimpia, Musterknabe, Kopfrüssler, Schnabelbaby, Hirnbirn oder Königskasper-Frau, sind Variationen, künstlerische Weiterentwicklungen zu den großen und bedrückenden Themen unserer schnellebigen Zeit, wie die Isolierung des Menschen, Verödung des Denkens, Vereinsamung der Seele, der Gefahr des Identitätsverlustes und der damit verbundenen Lebensangst. Der Kasper oder der Narr hält die Ambivalenz von Ausgelassenheit und Lebenslust einerseits und Melancholie und tiefempfundener Einsamkeit und Traurigkeit exakt in der Schwebe.

© Copyright Friedhelm Auhuber, 1999

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Friedhelm Auhuber, 2002.
Foto Susanne Zametzer


Köngiskasper & Kinder
Zeichnung, 1998


Mobiler Königskasper
Zeichnung, 1998