|
Inhaltsangabe
Meister Floh
Die Hauptfigur, Peregrinus Tyß, ein infantil
versponnener, durch elterliches Erbe wohlhabender
Kaufmannssohn, lebt als 36-jähriger Mann noch vollständig
in der Kinderwelt der 6-10-jährigen. Seinen Haushalt führt
die alte Haushälterin Aline. Ein bei dem armen Buchbinder
Lämmerhirt und seiner Familie verbrachter Weihnachtsabend
verändert als Folge der „wunderbarsten, tollsten
Ereignisse“ sein ganzes Leben. Die hübsche Dörtje
Elverdink (alias Prinzessin Gamaheh), Nichte des Flohbändigers
und Magiers Leuwenhoek, flieht zu Peregrinus und umgarnt
ihn raffiniert, um wieder in den Besitz eines Flohs
(Meister Floh) zu kommen, auf dessen belebende Stiche sie
durch ein phantastisch hintergründiges Geschick
angewiesen ist. Meister Floh indes, erfreut, dass er der
Gefangenschaft Leuwenhoeks entronnen ist, bittet
Peregrinus um Schutz. Als Gegenleistung erhält er ein
winziges Mikroskop, mit dem er die Gedanken seiner
Mitmenschen lesen kann. So ausgerüstet, lernt er die
soziale Welt erst kennen, dann neu entdecken, vor allem,
dass Gedanken und das, was im Dialog ausgesprochen wird,
auseinander klaffen können und nur in Ausnahmefällen
deckungsgleich sind. Darüber hinaus erfährt er nach und
nach den wunderlichen Zusammenhang seines eigenen
Schicksals mit den Geschicken der Figuren aus dem Märchenreich
Famagusta, deren Leben aus tiefster Vergangenheit in die
Erzählgegenwart hineinreicht. In einem zunehmenden
Erkenntnisgewinn opfert er schließlich seine
vermeintliche Liebe zu Dörtje dem Freund George Pepusch,
der als ursprüngliche Distel Zeherit ältere Ansprüche
auf die Blumenprinzessin Gamaheh hat, und findet die wahre
Liebe in der Gegenwart bei Röschen, der schönen Tochter
des Buchbinders Lämmerhirt. Mit dieser Liebe zu Röschen
verzichtet Peregrinus auf das Gedanken-Mikroskop in der
klaren Erkenntnis, dass jedes allzu tiefe Eindringen in
die Persönlichkeit anderer unzulässig, ja frevelhaft
sei. Diese Einschränkung gilt sowohl für den Staat in
Bezug auf die Bürger, von Hoffmanns Erzähler vorgeführt
in der „Knarrpanti-Episode“ im fünften Abenteuer, als
auch für die Bürger untereinander.
Was selbst dem
gescheiten und liebenswerten Meister Floh verschlossen
bleibt, eröffnet sich dem Peregrinus in der großartigen
Schluss-Allegorie im letzten Abenteuer als auflösender
und erlösender Traum: Er selbst ist der Märchenkönig
Sekakis aus mythischer Vorzeit; die magischen Kräfte des
„Karfunkels in seiner Brust“ sind durch die Liebe zu Röschen
und den Menschen geweckt; alle Gegenspieler werden unschädlich
gemacht, George Pepusch und Dörtje Elverdink von allen
Irrtümern ihres Lebens befreit, sie sterben als blühende
Distel und Blumenprinzessin den Pflanzentod. Peregrinus
hingegen wendet sich nach einem langen Erkenntnisprozess,
unterstützt durch den Meister Floh, Röschen, der Liebe
und dem Leben zu. Das alte Wort aus der Zeit der Frühromantik
von Friedrich Hardenberg (Novalis) „Wohin gehen wir?
Immer nach Haus“ hat Hoffmann im Meister Floh nochmal
aufgegriffen und poetisch variiert: Die Liebe entdeckt man
im unmittelbar Nächsten, schaut in das Gesicht eines
Individuums und zugleich in das Antlitz der Menschheit und
damit der ganzen Welt.
Copyright by Friedhelm Auhuber, 2001
zurück
|